Zum Hören:
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Und zum Nachlesen:
Die Sonne scheint durch den Blätterwald, Gräser wiegen im Licht,
ich schreite aus und freu‘ mich am Wind, der wärmend streicht mein Gesicht.
Immer tiefer zieht’s mich hinein in den Wald, vorbei an Büschen und Bäumen
und eh ich’s bemerkt, hab ich mich verlaufen, vor lauter Denken und Träumen.
Ich blicke nach links und blicke nach rechts, kann nichts Bekanntes entdecken.
Was soll ich nur tun, wo geht’s hier nach Haus, frage ich mich voller Schrecken.
Hier zu verharren, das wird mir schnell klar, wird mir am Ende nichts bringen
und so gehe ich weiter hinein in den Wald und dann tatsächlich binnen
weniger Minuten, vielleicht waren’s zehn
seh‘ ich auf ’ner Lichtung ein Häuschen steh’n,
davor sitzen sieben Gestalten.
Voll Zuversicht geh‘ ich zur Gartentür, eine Last fällt mir vom Herzen
und als ich so näher komm, winkt mir der eine, im Hintergrund hör‘ ich es scherzen:
„Hat sich wohl verirrt die Süße im Wald,
stellt schon mal den Prosecco kalt,
schaut aus, als könnt‘ sie den brauchen“.
„Neulich, mein Name“ stell ich mich vor und werf‘ einen Blick in die Runde,
beim näheren Hinsehen wird mir nun klar, was mir komisch erscheint, denn im Grunde
sehen die Herren sich alle recht gleich,
sind alle nicht groß, haben Mützen am Kopf und sind ganze sieben im Bunde.
Ich blicke verwirrt erst nach rechts, dann zur Linken
und sehe sie alle Prosecco trinken.
Die illustre Runde, Sie werden’s schon ahnen,
bilden Zwerg Nummer eins mit sechs Kumpanen.
Dem nicht genug tritt in dieser Sekunde
eine Frau aus der Tür und gesellt sich zur Runde
der sieben Zwerge.
Die Wangen gerötet, die Haut weiß wie Schnee, Haare wie Ebenholz dunkel,
auch sie schenkt sich ein Glas Prosecco ein, in den Augen seh‘ ich ein Funkeln.
Die Zeit vergeht, wir verstehen uns gut
und irgendwann trau ich mich, fasse den Mut
sie zu fragen, wie eine Frau schön wie sie hier im Wald sitzt mit sieben Zwergen.
„No offense“ wende ich mich dem Rest am Tisch zu,
„ihr seid wirklich nett, aber du,
scheinst nicht wirklich hierher zu passen.“
Und was sie mir dann zu erzählen beginnt, das kann ich wirklich kaum fassen.
Aufgewachsen in reichem Elternhaus, ging’s ihr als Kind richtig gut.
Doch dann starb die Mutter und neben Kummer und Wut
hatte Papa plötzlich ’ne Neue.
Die Frau, die sich fortan Stiefmutter nannte
und die alle im Ort als nette Frau kannten,
zeigte zu Hause ihr wahres Gesicht.
Liebe und Fürsorge gab es da nicht,
sondern nur Härte, Kälte und Strenge.
„Zu allem Überfluss“ erklärt nun Schneewitchen,
als wir beim vierten Prosecco sitzen,
„wurde mir in dieser Zeit richtig klar,
was mit mir irgendwie anders war,
dass ich nicht, wie alle aus meiner Klasse,
beim Anblick des schönsten Jungen erblasste, sondern dass ich auf Mädchen stand.“
„So bin ich dann in einer Nacht und Nebel
Aktion geflüchtet und hab‘ alle Hebel
in Bewegung gesetzt und bin hier gelandet,
bin hier im Wald bei den Zwergen gestrandet
in einer schwulen Männer WG“.
Prosecco schießt durch meine Nase, ich wende mich hustend ab,
Zwerg Nummer zwei klopft meinen Rücken und erwidert dann knapp
„Hey Süße, du hast schon ganz richtig geseh’n,
der Grund, warum wir uns so gut versteh’n –
wir sind schwul. Und das ist auch gut so.“
Hier sitze ich also im Märchenwald bei Schneewitchen und sieben Zwergen,
Schneewitchen ist lesbisch, die Zwerge sind schwul, das können sie kaum verbergen.
In diesem Moment hält vor der Tür
ein Wagen geräuschlos und leise
und während ich denke, möglicherweise
könnt’s ein E-Auto sein,
ruft Schneewitchen „wie fein,
dass du so schnell vorbei kommen konntest.“
Schneewitchen wendet sich mir zu und sagt,
„hab‘ kurz telefoniert und nachgefragt,
ob dich jemand nach Haus bringen könnte.“
Der Mann, der grad durch den Garten kommt, hat ’nen verschmitzten Blick,
die Haare sind blond, der Körper ist schlank und seine Kleidung ist schick.
Er beginnt zu sprechen, verbeugt sich galant,
seine Stimme klingt nett und er sagt ganz charmant,
als wär’s das Normalste der Welt,
einen Satz vom alten Goethe:
„Mein schönes Fräulein, darf ich wagen,
Arm und Geleit ihr anzutragen
Hocherfreut, mein Name ist Grete.“
„Jetzt reicht’s langsam aber“, denk ich bei mir „das kann doch alles nicht sein.
Erst schwule Zerge, dann das mit Schneewitchen, mehr geht in mein Hirn nicht hinein.“
Die Zwerge halten vor Lachen den Bauch,
neben dran steht Schneewitchen und lacht herzlich auch,
weil ich wahrscheinlich in diesem Moment
ganz besonders dämlich drein schaue.
„Lass mich erklären“ sagt Grete zu mir und setzt sich zu uns an den Tisch,
„Ich wurde als Mädchen – als Grete – geboren, doch bald schon, da merkte ich,
dass Außen und Innen nicht passte,
das ging immer weiter, bis ich als Teen
meinen weiblichen Körper hasste.
Das Loch, das sich auftat, war finster und tief,
ich war voller Selbstzweifel, voll Angst, depressiv,
doch dann traf ich auf Schneewitchen.“
Die beiden schauen sich liebevoll an und Grete fährt fort zu sprechen,
„sie war stets für mich da, hat zu mir gestanden“ ihre Lippen umspielt ein Lächeln.
„Dank ihr habe ich zu mir selbst gefunden,
kann zu mir stehen und mit gesundem
Selbstvertrauen durch’s Leben geh’n.
Dank ihr ist mein Leben jetzt wieder schön,
ohne Scham steh ich dazu, ich bin Trans,
als Grete geboren, bin ich bald Hans.“
Über den Tisch hier im Märchenwald legt sich ein Moment der Stille.
Zu hören ist nur der Wind in den Bäumen, von Ferne zirpt eine Grille.
Mir geht durch den Kopf wie im Märchen am Ende
sich immer alles zum Guten wendet,
wie das Gute stets das Böse besiegt
und der Prinz seine Prinzessin kriegt
…oder auch seinen Prinzen,
denke ich und muss grinsen.
Als ich am Abend im Bett lieg‘ und denke, was das für ein schräger Tag war,
wird mir beim Rückblicken kurz vor dem Einschlafen relativ schnell eines klar:
Auch im Märchenwald ist nichts so wie es scheint,
da sind auch mal schwule Zwerge vereint
und Schneewitchen dated Rapunzel.
Doch wie jedes Kind weiß nehmen am Ende
Märchen zum Schluss eine gute Wende,
sie lebten glücklich bis ans End‘ ihrer Tage,
doch irgendwie stell ich mir grade die Frage,
ob das auch für schwule Zerge gilt.
Bis ans Ende ihrer Tage glücklich zu sein,
das ist für viele von uns nur ein Schein,
denn anderswo auf dieser Welt muss man ums Leben bangen,
da wird man einfach aus dem Grund gefangen
genommen, weil man einfach so ist wie man ist,
weil ein Mann einen Mann auf der Straße küsst,
und unter dem Deckmantel der Religion Hass geschürt wird.
Dabei könnte alles so einfach sein, wenn egal wäre, wen Mann und Frau liebte,
wenn am Ende man lieben darf, wen man will und Gerechtigkeit und Liebe siegte.
Zu lieben und von Herzen geliebt zu werden,
das wünscht sich doch wirklich jeder auf Erden
und so hoff‘ ich, dass wie im Märchen am Schluss
alles gut werden wird, ja gut werden muss
für die Community LGBTQIA+
Man möge mir abschließend noch eines verzeihen,
dass ich erlaubt hab‘ mir zu entleihen,
die ein oder andere Märchengestalt
und auch die Stereotypen.
Nicht umsonst, das weiß ich, wird mit dem Regenbogen
sich auf die Vielfältigkeit der Community bezogen
und so bunt und schön soll sie auch weiterhin sein
voller Glück, voller Stolz, voller Liebe.
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