Ich stehe vor den aufgetürmten Lebkuchen Packungen, deren Daseinsberechtigung so langsam zunimmt. Draußen sinken die Temperaturen und der erste Advent naht. Im Hintergrund dudelt weihnachtliche Supermarkt Musik. Plötzlich fällt mein Blick auf eine grüne Packung für Ausstechplätzchen und – schwups – stehe ich gedanklich mit Mama und Schwester von Neulich in der Küche und backe Kekse.
Das war schon immer eine besondere Zeit im Jahr. Und wenn es mit der Weihnachtsbäckerei los ging, dann war auch der Heilige Abend nicht mehr ganz so weit weg. Am Nachmittag, wenn es langsam zu dunkeln begann, holte Mama von Neulich alles heraus, was es zum Backen brauchte. Waage und Schürze, Rührgerät und Schüsseln, Mehl, Eier, Zucker und Zimt und diese kleinen Aromafläschchen, die alle so herrlich nach Buttervanille, Rum oder Mandeln dufteten.
„Eine Muh, eine Mäh, eine Täterättätä…“
Wilhelm Lindemann
Dann ging es los. Was natürlich nie fehlen durfte, war die passende Musik. In meinem Kopf spielt da zwar Rolf Zuckowski mit der Weihnachtsbäckerei. Doch es waren wohl eher klassische Lieder wie „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ oder „Leise rieselt der Schnee“. Gemeinsam wurde nun abgewogen, geknetet und ausgerollt, bevor wir uns daran machen konnten, den Plätzchen die entsprechende Form zu geben.
Da wurden aus Teig kleine Rollen zu mehr oder weniger gleichmäßig großen Vaniellekipferln geformt oder versucht aus hellem und dunklem Teig kunstvolle Muster in Schwarz-Weiß Gebäck zu zaubern. An das optische Resultat kann ich mich nicht mehr erinnern, aber daran, dass die Kekse trotz Lagerung mit Apfelstückchen in einer Dose an Weihnachten immer noch recht hart – oder sagen wir besser – knusprig waren schon.
Für Papa von Neulich durften natürlich auch Kokosmakronen nicht fehlen und so legten wir zahllose Oblaten auf ein Blech, die Mama von Neulich dann mit luftigen Kokos-Eischnee-Häufchen versah. Die Masse wäre ja für mich schon der Himmel auf Erden gewesen, hätte man diese komischen Kokosraspeln weggelassen.
Dafür wurden dann aber aus anderen übrig gebliebenen Eiweiß Baiser ohne Kokosraspeln, dafür aber mit bunten Streuseln, gebacken.
Doch das schönste waren immer die besagten Ausstechplätzchen. Weniger wegen des Geschmacks, da waren die hausgemachten „Mama-Plätzchen“ um Längen besser. Aber bei den Ausstechplätzchen konnten wir so richtig kreativ werden.
„Zwischen Mehl und Milch macht so mancher Knilch eine riesengroße Kleckerei…“
Rolf Zuckowski
Zunächst galt es die Ausstechförmchen so gut wie möglich zu platzieren, das möglichst wenig Teigabfall produziert wurde. Sozusagen ein Weihnachtskeks-Tetris. Die vielen Sorten mussten vorsichtig aus den Förmchen gelöst werden, ohne dass einem Stern ein Zacken heraus brach oder ein Weihnachtsmann seine Nase verlor. Dann wurden sie mit entsprechendem „Sicherheitsabstand“ auf’s Blech gesetzt, bevor es zum Backen in den Ofen ging.
Dieser Vorgang wurde so lange wiederholt, bis der Teig vom vielen erneut Zusammenkneten und Ausrollen auf bemehlter Arbeitsfläche unbrauchbar wurde. Es folgte die Zeit des Wartens, die mir unendlich lang vorkam. Zuerst das Backen und dann mussten die Plätzchen ja auch noch auskühlen, bevor man sie – ENDLICH – kunstvoll verzieren konnte.
Hierzu wurde natürlich Zuckerguss benötigt. Also wurde Puderzucker mit Wasser verrührt, bis die exakt passende Konsistenz erreicht war – nicht zu flüssig und nicht zu zäh, damit man den Guss gut auf die Kekse streichen konnte. Am schönsten war es, wenn das Ganze dann auch noch mit ein paar Tropfen Lebensmittelfarbe eingefärbt wurde. Denn der Nikolaus brauchte einen roten Mantel, der Tannenbaum musste natürlich grün sein und die Sterne gelb.
Jetzt wurde gepinselt und mit bunten Streuseln und Zuckerperlen verziert. Manchmal kam auch Zuckerschrift zum Einsatz. Am Abend lag dann eine bunte Schar an Schneemännern, Geschenkpäckchen, Schlitten, Glocken, Weihnachtssternen und Nikoläusen zum Trocknen auf dem Küchenschrank.
Traditionell bildete das Backen des Stollens den Abschluss der Weihnachtsbäckerei. Und so ist es auch heute noch. Auch die süßen Baiser (immer noch mit bunten Streuseln) erwarten mich zu jedem Weihnachtsfest. Die strenge Regelung, dass wir die Weihnachtsplätzchen erst am Heiligen Abend wiedersahen (vorher durfte nicht gekostet werden), hat sich zum Glück etwas gelockert. Das ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass die Plätzchen vor Weihnachten am besten schmecken und zu Ostern eben nicht mehr ganz so gut.
Das gemeinsame Backen mit Mama von Neulich ist leider (!) aufgrund der Entfernung nicht mehr möglich. Aber die Vorfreude auf das gemeinsame Weihnachtsfest ist jedes Jahr auf’s Neue ungebrochen, wie in Kindertagen.
Und so zaubert mir an einem kalten, regnerischen Tag im November eine Packung mit fertigem Plätzchenteig ein Lächeln auf’s Gesicht. Neulich. Im Supermarkt.