Ich bin ja eigentlich ein ausgemachter Krimi-Fan. Das muss ich von Mama von Neulich haben. Wobei sie deutlich besser darin ist, den Mörder zu entlarven, als ich. Kein Tatort, bei dem der Täter nicht bereits kurz nach dem Vorspann aufgedeckt ist, während ich immer noch der Meinung bin, es ist der Mann, der zu dem Auge im Fadenkreuz gehört. Doch ich schweife wieder mal ab. Ich war ja eigentlich beim Lesen. Und zwischen all den Krimis muss es auch hin und wieder einmal etwas Anderes sein. Besonders als abendliche Bettlektüre.
Wie zum Beispiel kürzlich, als ich „Die Frau des Zeitreisenden“ las. Eine wirklich außergewöhnliche, spannende und interessante Erzählung. Und auch wenn mich die Geschichte der beiden Protagonisten sehr berührt hat, so fehlt mir manchmal einfach der sprichwörtliche Funke, der bei einer Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen überspringt.
„Lesen gefährdet die Dummheit.“
Unbekannt
So landete ich also bei dieser Geschichte, die Frau von Neulich ausgeliehen hatte. Beim Lesen sah ich mich förmlich mitten in Südfrankreich bei einem Glas Wein auf der Terrasse sitzen und den kleinen Terrier durch den Garten flitzen. Ein gutes Buch möchte man nicht mehr aus der Hand legen und es weiß mit dem ein oder anderen Twist die Spannung aufrecht zu erhalten, so dass man unbedingt wissen möchte, wie es ausgeht. So war es auch hier. Und ganz schnell befand ich mich im letzten Drittel des Buches, die eine Hauptdarstellerin blieb allein in Südfrankreich zurück, während die andere in ihr christliches Elternhaus zurückkehrte. Und während ich so da saß und las, wie das Coming Out Gespräch mit ihrer Mutter verlieft, wurde mir bewusst, wie viel Glück ich bisher in meinem Leben gehabt habe. Wie viel Verständnis mir entgegengebracht wurde. Kein/e einzige/r Freund/in hat merkwürdig reagiert oder sich gar von mir abgewandt. Bei keinem Arbeitgeber wurde meine Beziehung zu Frau von Neulich thematisiert. Und auch in der Öffentlichkeit haben wir beide glücklicherweise nie negative oder gar gefährliche Reaktionen erfahren.
Doch das größte Glück ist sicherlich meine Familie. Auch wenn es für Mama und Papa von Neulich wahrscheinlich anfangs nicht ganz so leicht war zu akzeptieren, dass ich mit einer Frau zusammen lebe, sind sie mir immer mit viel Liebe begegnet und haben nie auch nur ein Wort gegen mich gerichtet. Sie haben nie versucht mich von etwas Anderem zu überzeugen oder gar den Kontakt mit mir abgebrochen. Vielmehr haben Sie Frau von Neulich mit offenen Armen in die Familie aufgenommen. Auch bei Schwester von Neulich gab es nur Liebe und Verständnis – so wie schon mein ganzes Leben lang. Und genauso war es bei ihren Freunden und den Freunden von Mama und Papa von Neulich.
„Liebe ist für alle da!“
Unbekannt
Für mich fühlt es sich heute selbstverständlich an, dass wir uns in unserem Umfeld nicht verstellen und verstecken müssen. Doch ich weiß auch, dass das heute leider noch immer nicht selbstverständlich ist. Nicht bei uns in Österreich oder Deutschland, nicht in Europa und schon gar nicht in vielen anderen Teilen der Welt, in denen Leute wie ich um ihr Leben fürchten müssen. Und das alles nur, weil sie glücklich sein wollen.
Im „Pride Month“ springen alle auf die „hippe Gay Welle“ auf – plötzlich sieht man Regenbogen, wohin man auch schaut, vom Zebrastreifen bis zum Softdrink, vom Müsli bis zum Wodka. Dabei steckt hinter den Aussagen oft nur eine listige Werbestrategie und sie sind eigentlich genauso unecht, wie die Inhaltsstoffe der Softdrinks.
Nicht nur im Juni sollten sich Menschen wie Frau von Neulich und ich sicher fühlen können, wenn sie Hand in Hand über die Straße gehen. Nicht nur am Christopher Street Day sollten sich Personen der LGBTQIAPK+ Familie so zeigen dürfen, wie sie sind.
„Toleranz, auch Duldsamkeit, ist allgemein ein Geltenlassen und Gewährenlassen anderer oder fremder Überzeugungen, Handlungsweisen und Sitten.“
Definition von Toleranz, Quelle: Wikipedia
Oft habe ich mich gefragt, wie ich selbst meinen Teil zu mehr Toleranz beitragen kann. Hier, in einem kleinen Dorf ohne „Community“. Bis mir klar geworden ist, dass es dafür keine großen Taten braucht. Oft reicht es schon, anderen zu zeigen, dass wir ganz normale, nette Menschen sind. Oder andere Personen – Jung wie Alt – zurecht zu weisen, wenn sie „schwul“ als unbedachte Floskel oder gar Schimpfwort benutzen.
Besonders freut es mich, dass wir drei liebenswerte, aufgeweckte Nichten haben, die damit aufwachsen, zwei Tanten zu haben. Für sie ist das alles vollkommen selbstverständlich. Sie brauchen diesbezüglich keine Toleranz zu entwickeln, da es für sie keine „fremde Überzeugung oder Sitte“ ist. Für sie ist es einfach Liebe. Und so sollte es überall auf der Welt sein.
Und noch einmal wird mir klar mit welch toller Familie und mit welchem Glück ich gesegnet bin, als mein Blick auf das Buch in meinen Händen fällt. Neulich. Beim Lesen.