Ich komme nach meinem Arbeitstag nach Hause und da steht Frau von Neulich. Freudestrahlend. „Ich hab‘ eine Überraschung für dich!“ sagt sie und ich folge ihr neugierig ins Wohnzimmer. Auf dem Tisch liegt ein längliches Päckchen und natürlich will ich sofort wissen, was drin ist.
„Hirsch, Affe, Tänzerin oder Elefant?“ frage ich erwartungsvoll, denn ich ahne bereits, dass es etwas mit dieser Frage zu tun hat, die sie mir vor einiger Zeit per WhatsApp gestellt hat. Gefolgt von einem „Sag schon! Schnell!“ Ich hatte damals mit Tänzerin geantwortet. Aber wie eine Tänzerin in eine so kleine Packung passen soll?
Schnell beginne ich die Klebestreifen zu lösen und halte schon bald ein tuchähnliches Etwas in Händen. Als ich es aufrolle, fallen mir einige aneinandergereihte Farbtöpfchen entgegen und mit ihnen fällt auch bei mir der Groschen. Malen nach Zahlen.
Das mag sich jetzt für viele unglaublich langweilig anhören und vielleicht auch wenig romantisch. Aber ich wünsche mir das schon, seit ich ein kleines Kind bin. Ich wollte schon immer einmal diese vielen kleinen Felder mit unterschiedlichen Farben ausmalen und am Ende ein großes, schönes Ganzes haben. Aber irgendwie wurden meine Wünsche nie erhöhrt. Und jetzt habe ich also ein A3 großes „Bild“ vor mir, das von mir ausgemalt werden soll und ich freue mich riesig.
Und wie ich die Leinwand in Händen halte, fallen mir auf einmal ganz viele andere kleinere und größere Gesten von Frau von Neulich ein, die manchmal selbstverständlich scheinen und mir immer wieder zeigen, wie wertgeschätzt und geliebt ich bin.
„Der Charakter offenbart sich nicht an großen Taten; an Kleinigkeiten zeigt sich die Natur des Menschen.“
Jean-Jacques Rousseau
Da fallen mir auf Anhieb die unzähligen Spinnen ein, die sie mit einem Glas nach draußen trägt, während ich in der letzten Ecke des Zimmers warte. Oder – für mich noch viel schlimmer – die zahlreichen Kakerlaken, vor denen sie mich während unseres Südostasien-Urlaubs so oft gerettet hat und die dafür gesorgt haben, dass ich Spinnen jetzt ein klein bisschen weniger widerlich finde (die fliegen wenigstens nicht).
Da sind die vielen Urlaube, für die sie selbstverständlich für uns beide das Toilettetascherl packt und an die Pässe denkt und uns mit dem Wohnwagen sicher an unser Ziel bringt, weil ich mich nicht so recht traue. Und wenn wir einmal in einem Hotel sind, dann richtet sie andächtig einen Teller mit den leckersten Sachen vom Frühstücksbuffet für uns beide.
Da sind die vielen Male, die ich krank war und mich Frau von Neulich liebevoll gepflegt hat, auch wenn das manchmal garnicht so… angenehm für sie gewesen sein muss.
So gut wie immer trägt Frau von Neulich auch die ganzen schweren Sachen und will sich dabei von mir partout nicht helfen lassen. Und sie wäscht die Wäsche und wischt das Stiegenhaus.
Und dann sind da immer wieder solche kleinen Geschenke, einfach so – ohne Anlass. Weil sie etwas gesehen hat, das mir Freude machen könnte. Und das tut es auch immer. Mir Freude machen. Und zwar eine ganz große.
„Es war in alten Zeiten, da war die Beschaffenheit der Menschen eine andere. Damals waren die Menschen kugelförmig mit zwei Gesichtern, vier Armen und vier Beinen. Sie waren so vollkommen, dass sie die glücklichsten und freundlichsten Wesen auf Erden waren. Doch sie wurden von Zeus in Zwei geteilt und wandeln seitdem auf der Erde in ständiger Suche nach ihrer fehlenden Hälfte.“
Unbekannt
Aber noch größer ist die Freude, sie täglich an meiner Seite zu haben. Denn jeden Tag, wenn ich aufwache (ja, sogar wenn das ganz, ganz früh ist) und jeden Abend, wenn sie mich von der Arbeit abholt, dann zaubert sie mir auch nach über 18 Jahren immer noch ein Lächeln ins Gesicht und Schmetterlinge in den Bauch. Und ja, das mag jetzt alles für viele sehr kitschig klingen, aber für mich ist es einfach ein riesiges Glück den fehlenden Teil meines „Kugelmenschens“ wiedergefunden zu haben.
All das wird mir wieder einmal ganz bewusst als ich so da stehe mit dem Malen nach Zahlen Bild in den Händen. Neulich. Zuhause…
…dass kein Ort ist, sondern immer an Frau von Neulichs Seite.
Das ist eine der wohl berührensten Liebeserklärungen, die ich je gelesen habe. Danke für jedes einzelne Wort.
Das ist Liebe ❤️ So schön!!!