Ich lese das Urlaubs-Special, blättere so durch die Seiten, lese vom Wolfgangsee und dem Wilden Kaiser, vom Gasteinertal und vom Gardasee. Und wie ich mich mit den Autoren auf die Entdeckungsreise ihrer Urlaubserlebnisse begebe, bleiben meine Augen beim Umblättern an einem mächtigen Bergmassiv hängen. Riesige Zinken ragen dem blauen Himmel entgegen. Der Schlern.
Kindheitserinnerungen…
Und mit einem Mal bin ich wieder 8 Jahre alt, Stirnfransen, Zöpfe und stolz auf meinen eigenen Wanderrucksack.
Wahrscheinlich sind wir wie immer mitten in der Nacht zu Hause aufgebrochen. Schlaftrunken und ohne Essen (damit mir nicht schlecht wurde) hatte ich mich ins Auto gesetzt und nach den ersten beiden Orten schon innerlich die Frage zurückgedrängt, wann wir denn endlich da seien.
Wahrscheinlich haben wir wie immer irgendwo auf der Strecke eine Pause eingelegt – das erste Highlight des Urlaubs, denn dann gab es Schnitzelsemmerl und Limonade (und Limonade gab es sonst so gut wie nie). Mit gefülltem Magen und guter Laune werden wir dann weitergefahren sein. Komischerweise ist mir nach diesen Pausen nie schlecht geworden. Den Urlaubsfotos zufolge sind wir scheinbar bei großer Hitze im Stau zum Stehen gekommen – auch das gehörte irgendwie dazu.
Und dann sind wir nach einer gefühlten Ewigkeit endlich in Seis angekommen, dem kleinen Ort am Fuße des Schlerns.
Wahrscheinlich habe ich damals nicht so richtig gewusst, was mich in diesem Urlaub erwarten würde, waren wir doch bis dahin eher zum Skifahren in den Bergen gewesen. Doch der kleine rote Wanderrucksack mit den gelben Enten drauf, hat sicherlich so etwas wie Vorfreude geweckt (und war wahrscheinlich ein geglückter Schachzug meiner Eltern, mir das Wandern schmackhaft zu machen).
Ein Sommer wie damals…
Während ich den Bericht im Bergwelten Magazin lese, steigen immer neue Erinnerungen in mir auf. Wie ich voller Stolz meine erste kilometerlange Wanderung absolvierte, den eigenen Proviant im kleinen Rucksack verstaut. Wie wir mit dem Vermieter unserer Ferienwohnung auf die Seiser Alm wanderten und er uns dort seine Bienenstöcke zeigte. Wie Papa von Neulich sich mit der Kamera immer wieder ins Gras warf, um die Schönheit der Almblumen einzufangen. Oder wie ich gemeinsam mit Schwester von Neulich am Fenster saß und versuchte, die beeindruckende Form des Schlerns auf Papier zu bringen (ihr wird das aufgrund ihrer Begabung sicherlich wesentlich besser gelungen sein, als mir).
Einmal führte uns unser Heimweg durch einen Wald und plötzlich befanden wir uns in einem Meer aus Heidelbeersträuchern. Ich komme zwar aus einer ländlichen Gegend, aber Heidelbeeren – die gab es bei uns nicht, oder zumindest nicht in solchen Mengen, wie sie sich hier auf einmal zu unseren Füßen ausbreiteten. Mama von Neulich kramte nach verfügbaren Sammelbehältnissen in ihren Taschen. Zum Glück konnte eine Plastiktüte und ein leeres Taschentuchpäckchen gefunden werden, in denen wir unsere Sammlung sicher heimwärts transportieren konnten. Ich bin mir sicher, dass wir alle mit blauen Mündern den Wald verließen. Zumindest ich werde genauso viele Beeren genascht haben, wie sie aus meinen Händen in die Tüten von Mama von Neulich gewandert sind. Zu Hause gab es die selbst gepflückten Beeren dann zum Nachtisch. Sahne durfte natürlich auch nicht fehlen, aber ein Handrührgerät gab es nicht. Nur ein altmodisches Modell aus zwei Rührbesen, die mit kleinen Zahnrädern und einer Kurbel versehen waren. Und so schauten wir lachend Papa von Neulich zu, der sich heftig kurbelnd abmühte, die Sahne zu schlagen, während kleine weiße Tröpfchen sich langsam um ihn herum verteilten. Wie wunderbar dieser Nachtisch, den wir uns als Familie gemeinsam „verdient“ hatten, geschmeckt hat, brauche ich wohl nicht zu sage.
„Wer schöne Erinnerungen im Herzen trägt, braucht sich um die Zukunft nicht zu sorgen.“
Unbekannt
Vielleicht ist es diese Erinnerung, die mich auch heute noch an einem warmen Sommertag im Wald innehalten lässt, wenn dieser ganz eigene Geruch aus Waldboden, Nadeln und Harz in der Luft liegt.
An einem anderen Tag war schon früh am Morgen ein großer Trubel im Ort zu beobachten. Auch der Hausherr hatte sich in Schale geworfen, seine Tracht mit einem großen Hut angezogen und seinen grauen, buschigen Bart gebändigt. Es war wohl das jährliche Fest des örtlichen Schützenvereins. Mir sind noch die Herren und Damen in Tracht in Erinnerung, fesch herausgeputzt. Und die guten Brathendl, die es zu Mittag gab. Und während Mama und Papa von Neulich den Tag genossen, spielten Schwester von Neulich und ich im Wald, der direkt an das „Festgelände“ angrenzte. Wir bauten Höhlen und Häuser für die Zwerge und Elfen im Wald. Wir sammelten Zapfen, Stöckchen und Moos und haben uns damit den ganzen Tag beschäftigt. Ein Umstand, den unsere Eltern sicherlich sehr begrüßt haben und der heute kaum noch denkbar ist, da die Kinder eher auf einem Smartphone herumwischen, statt die eigene Fantasie zu entfalten.
Im Nachhinein betrachtet kommt es mir so vor, als wären wir mindestens vier Wochen an diesem beschaulichen Ort in Südtirol gewesen, den Schlern im Blick als ständigen Begleiter. Wahrscheinlich waren es nur zwei Wochen. Aber was macht schon Zeit aus, wenn man sie intensiv erlebt? Dann können auch drei Tage schöner, entspannender, abwechslungsreicher und intensiver sein, als so manche Urlaubswoche. Besonders dann, wenn man sie mit lieben Menschen verbringt.
Mir jedenfalls ist das Herz aufgegangen und zahlreiche Erinnerungen, Bilder und Gerüche sind wieder aus dem Unerbewusstsein aufgestiegen, als ich ihn sah – den Schlern. Neulich. Im Bergwelten Magazin.