Heute ist der Geburtstag meiner Oma. Sie wäre heute 95 geworden. Eine starke Frau. Sie hat sich nicht immer Freunde gemacht. Auch in der Familie war es nicht immer einfach. Aber für mich war sie die beste Oma der Welt. Sie hat auf uns aufgepasst. Sie hat mit Mama von Neulich das „Kölsch“ in der Familie aufrecht erhalten. Sie hat mir häkeln und stricken beigebracht.
Einmal, in der Grundschule, mussten wir für eine selbst gebastelte Pappmachée Marionette einen Pullover stricken. Ich war viel zu spät dran. Am nächsten Tag sollte das gute Stück fertig sein. Und ich hatte gefühlt erst 3 Reihen gestrickt. Zum Glück war Ömchen von Neulich zu Besuch und hat so ganz nebenher den Pulli für mich fertig gestellt. Die Lehrerin war ganz begeistert ob der einheitlichen Arbeitsweise. Danke dafür!
Wenn wir bei Ömchen von Neulich zu Besuch waren, dann war die Antwort auf die morgendliche Frage „Was möchtest du essen?“ „Leberwurstbrot!“. Man kann sich das nicht vorstellen, wenn man es nicht selbst gegessen hat – Ömchen von Neulich war die beste Leberwurstbrotstreicherin, die man sich vorstellen kann.
Bei ihr gab es auf dem schweren, dunklen Holzbuffet immer eine Porzellan-Bonbonniere. Entweder befanden sich darin diese weißen und rosafarbenen runden Schokolinsen mit Pfefferminzüberzug oder Lakritzstäbchen (ja, ich bin nördlich des Lakritzäquators aufgewachsen und liebe diese Dinger).
Ömchen von Neulich hat mir auch Klavierspielen beigebracht. Naja, sie hat es zumindest versucht. Sie war nicht immer so begeistert wie ich von meinem damaligen Talent, über Fehler einfach hinwegzuspielen oder die Lieder nicht nach den Noten, sondern nach Gehör wiederzugeben. Leider ist mir dieses Talent mit der Zeit abhanden gekommen. Ebenso wie die Lust am Klavier spielen. Heute bedauere ich es sehr, dass ich diese Möglichkeit verstreichen ließ. Genauso wie ich es versäumt habe nähen zu lernen von einer fantastischen Schneiderin.
Ömchen von Neulich hat in einem großen, angesehenen Modehaus in Köln gelernt. Leider kam der Krieg dazwischen. Die jüdische Familie ging nach Amerika. Und als damals schwangere Frau stand es natürlich nicht zur Debatte, mitzugehen. Wie anders wäre ihr und unser aller Leben verlaufen, wären die Umstände anders gewesen.
Ömchen von Neulich war aber nicht nur im Krieg eine starke Frau. Sie war es ihr Leben lang. Der erste Mann an den Folgen des Krieges gestorben. Allein gewesen mit einem kleinen Kind in der Nachkriegszeit.
Den zweiten Mann – Öpchen von Neulich – an den Krebs verloren. Trotzdem sich nie unterkriegen lassen. Sie war aus einer Generation, in der es noch nicht üblich war, dass Frauen handwerkliche Arbeiten selbst erledigten. Aber ihr blieb nichts anderes übrig. Sie hat sich nie davor gescheut, einen Nagel selbst in die Wand zu schlagen, Glühbirnen auszuwechseln oder Dinge selbst zu reparieren.
Ja, sie ist oftmals auch angeeckt mit ihrer Art. Aber für mich war sie immer die Oma, die wir oft besucht haben. Die mich durch meine Kindheit begleitet hat. Die nie aufgegeben hat. Die mich so viel gelehrt hat. Und die mir unglaublich fehlt – immer wieder, aber besonders neulich. Am Geburtstag.
Liebe Ömchen – das ist für dich.
„Ich saach nit „Lebwohl“
dat Woot dat klingt wie Hohn.
…Maach et joot.
Niemals geht man so ganz
irgendwas von mir bleibt hier
es hat seinen Platz immer bei dir.
Nie verlässt man sich ganz
irgendwas von dir geht mit
es hat seinen Platz immer bei mir.“Trude Herr